Wieso sollten wir Verschwörungserzählungen statt Verschwörungstheorien sagen? Und was verbindet Verschwörungsideologen mit der neuen Rechten? Diese und weitere wichtige Fragen beantwortet Netzaktivistin, Bürgerrechtlerin und Autorin Katharina Nocun in unserem Nachgefragt-Interview. In ihrem aktuellen Buch „Fake Facts“ setzt sie sich zusammen mit Sozialpsychologin Pia Lamberty intensiv mit Verschwörungstheorien auseinander. Im Interview teilt sie mit uns ihr Expertenwissen.
– mit Katharina Nocun, Netzaktivistin, Bürgerrechtlerin, Autorin
Intro Media Smart e. V.: Katharina Nocun ist Netzaktivistin, Bloggerin, Autorin und Expertin auf dem Gebiet Verschwörungstheorien. Sie erklärt uns unter anderem, wie diese unser Denken bestimmen, warum wir eigentlich besser von Verschwörungserzählungen sprechen sollten und wie man mit Verschwörungsgläubigen reden kann.
Vorstellung Katharina Nocun: Mein Name ist Katharina Nocun. Ich bin Autorin, Netzaktivistin, Bürgerrechtlerin und habe ein Buch geschrieben oder habe zwei Bücher geschrieben. Eins zum Thema Verschwörungsmythen zusammen mit der Sozialpsychologin Pia Lamberty. Und das andere vor zwei Jahren zum Thema Datenschutz. Da hab ich unter anderem Mal geschaut, was Unternehmen eigentlich über uns wissen und habe meine Daten angefordert.
Media Smart e. V.: Was ist denn überhaupt dein innerer Antrieb dich politisch zu engagieren? Du beschreibst dich selbst als Bürgerrechtlerin. Was bedeutet denn das Bürgerrechtler:innen-Sein im Jahr 2020?
Nocun: Als ich angefangen habe mich politisch zu engagieren, da ging es um eine ganz konkrete Frage und ich denke so geht es vielen Menschen, die politisch aktiv sind. Das es meistens so ein Thema gibt, wo man das Gefühl hat, da kümmert sich niemand drum oder das ist so wichtig. Und man hat dann das Gefühl oder man möchte selbst etwas verändern durch seinen Beitrag. Und bei mir war das damals die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung. Für mich ist der Einsatz von Bürgerrechten so eine Art Safeguard irgendwo. Dass man halt schaut, dass Institutionen, auch Datensammlungen so aufgebaut werden, dass das Missbrauchspotenzial möglichst gering ist.
Media Smart e. V.: Um noch mal auf dein Buch zurückzukommen. Das ist eben im Frühjahr diesen Jahres erschienen, zusammen geschrieben mit Pia Lamberty, „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Und dann stelle ich doch direkt mal die Frage zurück. Wie bestimmen denn nun Verschwörungstheorien unser Denken?
Nocun: Es kann bei jedem von uns passieren, dass wir in einer bestimmten Lebenssituation oder bei einem bestimmten Thema Verschwörungsideologen auf den Leim gehen. Also zu sagen, das sind die Spinner und der Rest ist immer total rational, das funktioniert so nicht. Ganz davon abgesehen muss man sagen, dass Verschwörungserzählungen natürlich auch eine große Rolle in der Politik spielen. Gerade wenn wir in die USA schauen, muss man sagen, dass Verschwörungsnarrative oder Andeutungen über angebliche Verschwörungen in der Wahlkampfstrategie von Donald Trump eine immens große Rolle spielen. Und ich würde wirklich davor warnen Verschwörungsideologien als harmlos zu betrachten. Also einerseits auf der individuellen Ebene, wenn man eben an eine Gesundheitsverschwörung glaubt oder an eine Verschwörung im medizinischen Bereich, kann das dazu führen, dass Menschen bei schweren Erkrankungen nicht mehr zum Arzt gehen, sondern zum Wunderheiler. Das kann tödlich enden. Bis zur politischen Ebene, wo wir sehen, dass Gruppen sich so weit radikalisieren, abkapseln, auch nicht mehr offen für Diskurse sind, dass das eben auch zu einer Polarisierung von Debatten führen kann. Und gerade in einer Demokratie, die ja auch irgendwo auf Diskussion und auch Konsensfindung oder Kompromissfindung angewiesen ist, sind solche verhärteten Fronten natürlich extrem problematisch. Und gerade wenn Parteien systematisch dazu übergehen mit Verschwörungserzählungen Wahlkampf zu betreiben, sollten wir das einfach nicht als, okay das ist eine neue Strategie, oder, das ist harmlos, abtun, sondern wirklich sagen, das ist wirklich etwas, dass die Debatte nachhaltig vergiftet.
Media Smart e. V.: Vielleicht kannst du noch mal kurz skizzieren, was Verschwörungstheorien überhaupt sind. Oder sprechen wir eigentlich besser von Verschwörungserzählungen?
Nocun: Wir haben uns in unserem Buch ganz bewusst dazu entschieden nicht von Verschwörungstheorien zu sprechen, sondern wir sprechen von Verschwörungserzählungen oder von Verschwörungsmythen. Denn der Theorie-Begriff kommt aus der Wissenschaft und in der Wissenschaft ist es so, wenn eine Theorie widerlegt wird oder wenn jemand sagt, hier gibt es eine Ergänzung, dann wird jeder seriöse Wissenschaftler sagen, gut, ich hab mich geirrt, ich ziehe das zurück, oder ich muss eine Erweiterung herausbringen. Und genau dieses Verhalten beobachten wir bei Verschwörungsideologen eben nicht. Und generell kann man sagen, dass unter diesem Oberbegriff eben eine bestimmte Form von einem Narrativ verstanden wird. Also da wird eben so eine Geschichte erzählt, dass es angeblich eine als mächtig wahrgenommene Einzelperson oder Gruppe gibt, die sich verbündet haben, um eine Verschwörung durchzuführen mit dem bewussten Ziel der Bevölkerung zu schaden. Das heißt, da spielen Feindbilder eine Rolle, da spielt auch Überhöhung von Machtzuschreibung eine Rolle.
Media Smart e. V.: Da kommen wir auch direkt zur nächsten Frage. Wie spricht man denn am besten mit Verschwörungsgläubigen, vor allem aus dem eigenen Umfeld?
Nocun: Da muss man sagen, eine Reaktion ist immer besser als Schweigen. Wenn man jemanden aber überzeugen will, dann sollte man in ein Vier-Augen-Gespräch gehen. Und dann sollte man sich auch die Ruhe nehmen und Zeit nehmen, sachlich bleiben, ruhig bleiben, den anderen nicht abwerten, egal wie absurd die Thesen auch sein mögen. Wobei man natürlich bei Rassismus und Antisemitismus da auch eine klare Linie ziehen muss und das benennen muss. Und man muss sich einfach klar machen, dass, wenn jemand wirklich sehr tief in so einem Glauben drinnen ist, dann ist das ein Marathon und dann ist das auch kein Sprint. Also da kann man nicht erwarten in einer Diskussion jemanden zu überzeugen, indem man sagt, hier ich hab das, was du gesagt hast, recherchiert, folgende Medien haben sich das angeguckt, die kommen zu einem anderen Ergebnis, schau dir das mal an. Wenn jemand aber wirklich im Glauben drinnen ist, dann sollte man versuchen herauszufinden, woher hat der das, warum glaubt der das. Und dann macht es durchaus Sinn nicht so auf diese Mirkoebene-Diskussion zu gehen, sondern sich anzugucken beispielsweise, arbeitet dieser Mensch viel mit Verallgemeinerungen. Also „die Medien“ oder „die Medien, die Lügen alle“ oder „die Politiker, die sind alle korrupt“. Und da kann man fragen, naja wen meinst du denn. Indem man versucht nach und nach durch Fragen dieses schwarz-weiß Weltbild aufzubrechen, kann man eben so langsam den Weg bereiten, dass derjenige auch selbst bereit ist Dinge zu hinterfragen.
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