Was macht eigentlich ein Cyberkriminologe? Das und vieles mehr haben wir Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger gefragt. Er darf diese Berufsbezeichnung tragen und hat uns in einem spannenden und lehrreichen Interview Einblicke in sein Arbeitsfeld gegeben. Als Experte für digitalen Kinderschutz berichtet er von Risiken für Kinder im Netz und warum es eine Art globale Digitalpolizei geben müsste, um diese bestmöglich zu verringern. Außerdem haben wir ihn gefragt, was er von Kinderfotos im Netz hält und welche Tipps er für Eltern und Pädagog:innen bereithält. Das gesamte Interview mit vielen weiteren Themen gibt es hier.
– mit Thomas-Gabriel Rüdiger, Cyberkriminologe
Intro Media Smart e. V.: Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger erklärt uns, warum Medienkompetenz wichtig ist, aber längst nicht ausreicht, um Kinder im Netz zu schützen. Er hat mit uns über digitalen Kinderschutz, den Wunsch nach einer globalen Digitalpolizei, seine Meinung zu Kinderfotos im Netz und vieles mehr gesprochen.
Vorstellung Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger: Schönen Guten Tag. Mein Name ist Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger. Ich bin Kriminologe, manche würden auch sagen Cyberkriminologe, am Institut für Polizeiwissenschaft in Oranienburg. Da bin ich sogar der stellvertretende Leiter. Und was ist ein Cyberkriminologe? Ich beschäftige mich mit digitalen Risiken im Netz. Aber auch mit der Frage, wie entsteht Kriminalität im digitalen Raum und was für Gegenmechanismen können wir haben. Und das sind so meine Themenfelder und das berührt ziemlich viele Aspekte.
Media Smart e. V.: Wahnsinnig spannendes Feld auf jeden Fall. Und ein Fokus der Arbeit liegt ja auch auf Aspekten des Kinder- und Jugendmedienschutzes und der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen. Und wo lauern denn aus Ihrer Sicht die meisten Gefahren und Risiken?
Rüdiger: Zunächst muss ich eins sagen, wie betrachte ich den digitalen Raum. Der digitale Raum ist für mich ein Raum, in dem die Normüberschreitung als so normal angesehen wird, dass sie kaum noch als abweichend definiert wird. Wir empfinden das als Normalität, das gilt auch für sexuelle Belästigung, Zusenden von Dickpics und Co. Warum erzähle ich das in diesem Zusammenhang? Wenn Sie mich jetzt also fragen, was ist das größte Problem, ich könnte es nicht definieren. Klar kann ich jetzt sagen, es sind die sexuellen Übergriffe. Ich halte es aber auch für massiv problematisch, dass Kinder in einem solchen Raum teilsozialisiert werden, wo wir gar nicht wissen, was das wirklich bedeutet, wenn du immer mit so einer, ich nenne das digitale Kriminalitätstransparenz, mit einer sichtbaren Kriminalität konfrontiert wirst und es als normal anfängst zu definieren. Da gab es mal einen Bericht vom LKA, ich glaube NRW war das 2013, und die haben gesagt, dass Kinder im Netz zum Beispiel Cybergrooming und sexuelle Belästigung als eine solche Normalität empfinden, dass sie sich dran gewöhnt haben, und dass sie es nicht mehr als strafbar sehen und zur Anzeige bringen. Es ist einfach so, dass wir diesen Raum nicht für Kinder geschützt haben, nicht sicher machen.
Media Smart e. V.: Wie kann man denn Kinder und Jugendliche im Schritt vorher quasi im sicheren Umgang damit schulen?
Rüdiger: Häufig heißt es ja Medienkompetenz, ich sag das auch immer. Aber ich sag das auch ein bisschen aus Verzweiflung, weil nämlich kein anderer Mechanismus greift. Und ich finde, man muss zunächst mal eins sagen, Vermittlung von Medienkompetenz bedeutet nicht, dass man per se ein Kind davor schützt, dass es mit Kriminalität im Netz konfrontiert wird. Das ist mir ein wichtiger Aspekt, weil es dann meistens heißt, Medienkompetenz ist jetzt der Schutz vor Kriminalität. So würde ich das nie sagen. Medienkompetenz ist der individuelle Schutz, ein Kind vor den Folgen von sowas zu schützen. Man stellt sich mal den Straßenverkehr vor, wo Sexualtäter, Extremisten eigentlich offen rumgehen und überall ansprechen. Und das, was wir dann machen, ist nicht zu sagen, ich schicke dort Polizei rein, ich schicke dort Ordnungsamt rein, die Eltern sind alle aufmerksam, versuchen die Leute zu melden. Sondern wir sagen, Kind, wenn du einem Täter begegnest, versteckst du dich hinter einem Baum. Oder, wenn er dich anspricht, brauchst du nicht zu reagieren. So würden wir doch nicht machen und das ist mir halt ein wichtiger Aspekt. Ich würde sagen, ein echter Kinderschutz, ein echter Jugendmedienkinderschutz muss zunächst es schaffen diesen Raum für Kinder in irgendeiner Form so abzusichern, dass diese Kriminalität nicht so normal ist, dass sie nicht so normal sichtbar ist. Und dass man eher verhindert, dass ein Kind mit einer sexuellen Belästigung oder Cybergrooming oder auch Hass-Kriminalität, auch ein Riesenthema, wenn man sich die Schulchats anschaut, was da läuft. Und nicht nur da, auch in den Games, also in allen Bereichen. Dass das eingegrenzt wird, man kann es nicht verhindern, aber dass man es minimiert. Und das, was übrigbleibt, darauf sollte man die Kinder dann vorbereiten. Und gegenwärtig hört man halt häufig, Eltern, ihr müsst Medienkompetenz machen. Und da muss man auch noch eins zu sagen, ich finde, dass die Gesellschaft viel zu wenig die Frage beantwortet, wer denn dann Kinder schützt, wenn die Eltern diese Medienkompetenz nicht vermitteln. Und dann heißt es immer, Eltern müssen, aber sie machen es nicht, es machen ja nicht alle Eltern. Entweder sie haben keine Lust oder sie haben die Fähigkeiten nicht. Und wer schützt die denn dann? Und das sind mir zu platte Antworten in den meisten Fällen.
Rüdiger: Ich würde gerne eine Strategie haben, die all das erfasst, Globalität des Raums, wie kann man die Betreiber dazu bringen, dass sie was sichern können. Und wenn man das geschafft hat, ich nenne das auch digitale Generalprävention, alles was übrigbleibt, das sind dann die Geschichten, auf die wir die Kinder vorbereiten. Wie gesagt, wenn Sie zu mir sagen, ist ein Medienfach, ja, wenn ein Medienfach gut ist, dann ist es ein Medienfach. Wenn Sie mich fragen, integriert in den Unterricht, dann sage ich auch, ja super, integriert im Unterricht. Es geht um die Vermittlung. Und was ich aber auch noch mal sagen muss, was mich auch besonders stört ist, dass die Kinder sich reihenweise strafbar machen, aber nie einer mit ihnen über die Strafbarkeit vorher redet. Ich finde schon dumm, dass sie sich strafbar machen, auch das sollte man ändern, aber dann finde ich es noch dümmer, dass man als Gesellschaft sagt, guck mal, die machen sich alle strafbar, aber keiner redet mit denen. Woher soll den ein Kind wissen, was strafbar ist im Netz? Also mal ganz ehrlich, woher soll es denn das wissen? Ich meine, ich wette, wenn ich mich mit Ihnen darüber unterhalte, ob sie wissen, was im Netz alles strafbar ist, würde es wahrscheinlich auch schon eine interessante Diskussion sein. Und dann erwarten wir das aber von Kindern. Ich verstehe es nicht. Und ich habe langfristig davor gewarnt, ich hatte ja für meine Promotion, hatte ich ja zu Cybergrooming verfasst, hatte ich das auch lange ausgewertet. Und die Entwicklung ist ganz klar. Seitdem es Smartphones gibt, geht die Anzahl der Kinder und Jugendlichen in allen tatverdächtigen Bereichen im digitalen Raum nach oben.
Media Smart e. V.: Kinder wissen es ja oft nicht besser, wenn sie Fotos von sich ins Netz hochladen, darüber haben wir ja jetzt auch schon gesprochen, aber genauso gibt es ja auch Erwachsene, Eltern, die eben die Privatsphäre ihrer Kinder missachten bzw. sich der Konsequenzen auch einfach nicht bewusst sind. Wie kann man denn auch hier mehr Aufklärungsarbeit leisten? Oder müsste es vielleicht sogar auch strengere staatliche Regularien hier geben?
Rüdiger: Zunächst muss ich mal noch mal zu den Kinderbildern eins sagen. Ich glaube, das ist so ein Kernsatz, den ich gerne mache, ich glaube, es ist die Aufgabe der Eltern die Risiken für Kinder zu minimieren aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen. Das heißt nicht, dass die nicht selber auch mit was konfrontiert werden, aber im Kern versuchen alle Eltern die Risiken für ihre Kinder zu minimieren und nicht sie zu erhöhen. Kinderbilder im Netz sind aber so unklar, was daraus noch in Zukunft an Risiken entstehen kann, dass eigentlich jedes Bild, was du postest, ein Risiko beinhalten kann. Woher kannst du mir denn garantieren, dass nicht jedes Bild später dazu führt, dass man dich in allen Alterslagen und mit Gesichtserkennung wiedererkennen kann. Das Risiko alleine daraus ist so hoch, weil man es jetzt noch gar nicht erkennen kann, dass es für mich eigentlich keinen einzigen vernünftigen Grund gibt, das Bild von einem Kind reinzusetzen, vor allem auch nicht öffentlich, aber auch nicht privat, weil die meisten, die sagen, ist privat, haben dann hundert Follower und da sage ich ihnen auch schon wieder, ist nichts mit privat.