Wer schützt Ihr Kind, wenn im Internet Nacktbilder, Mobbing und Hassparolen verbreitet werden? Wozu gibt es ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz? Das sind sehr wichtige Fragen in der Zeit der Digitalisierung – besonders für Pädagog*innen und Eltern. Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e. V. (FSM) ist eine anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung, die sich für Jugendschutz im Internet stark macht. Das bedeutet, dass ihre Mitglieder, wie zum Beispiel Facebook, durch die FSM bei der Bekämpfung von illegalen Inhalten unterstützt werden. Martin Drechsler ist Geschäftsführer der FSM. Er studierte Rechtswissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin. Zuvor war er Referent für Jugendmedienschutzrecht bei der FSM.
Media Smart e. V.: Herr Drechsler, können Sie anhand eines Beispiels erklären, was mit der Beschwerde passiert, nachdem sie bei der FSM eingegangen ist?
Drechsler: Stoßen Nutzer im Internet auf Inhalte, die ihrer Ansicht nach nicht für Kinder und Jugendliche geeignet sind, können sie diese kostenlos bei der FSM-Beschwerdestelle melden. Bei Eingang einer Meldung wird jeweils geprüft, ob ein Verstoß gegen jugendmedienschutzrechtliche Vorschriften vorliegt.
Media Smart e. V.: Wie geht es dann mit der Beschwerde weiter?
Drechsler: Was mit der berechtigten Beschwerde passiert, richtet sich nach der Inhaltsart. Kinder- und jugendpornografische Inhalte werden nach kurzer Sichtung an das Bundeskriminalamt übermittelt. Handelt es sich um andere Inhalte, die jugendmedienschutzrechtliche Vorschriften verletzen, zum Beispiel Volksverhetzung oder menschenunwürdige Gewaltdarstellungen, so wird der Anbieter von uns über den Verstoß informiert. Wir geben ihm dann die Gelegenheit der Beschwerde selbst abzuhelfen.
Media Smart e. V.: Was passiert, wenn der Anbieter Ihre Warnung ignoriert?
Drechsler: Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, berufen wir den Beschwerdeausschuss ein. Das ist ein plural besetztes Expertengremium aus Juristen, Medienpädagogen und gesellschaftlich relevanter Gruppen. Oder wir leiten die Beschwerde an die zuständige Stelle (z.B. Landesmedienanstalt) weiter, die die Beschwerde erneut prüft.
Media Smart e. V.: Und was können Sie tun, wenn der Ursprung des Inhalts im Ausland liegt?
Drechsler: Die FSM ist unter dem Dachverband der Beschwerdestellen INHOPE weltweit vernetzt. Erhält die FSM bspw. eine Beschwerde mit kinderpornografischem Material und ist der Inhalt im Ausland gehostet, so wird die Beschwerde an den zuständigen internationalen Kooperationspartner und das BKA weitergeleitet.
Media Smart e. V.: Wie kann ich sicher gehen, dass mein gemeldeter Inhalt bearbeitet wurde?
Drechsler: Einige Beschwerdeverfahren dauern länger als andere. Nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens erhält der Beschwerdeführer jedoch immer eine Nachricht über den Ausgang des Verfahrens. In Fällen von kinderpornografischem Material erfolgt eine derartige Nachricht jedoch nicht, da wir über den Ausgang von Verfahren nicht informiert werden.
Media Smart e. V.: Am 1. Oktober 2017 ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, oft auch kurz „Facebook Gesetz“ genannt, in Kraft getreten. Bitte definieren Sie uns dieses in Ihren eigenen Worten.
Drechsler: Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll erreicht werden, dass weniger strafrechtlich relevante Inhalte online verfügbar sind. So sollen Anbieter sozialer Netzwerke dazu gezwungen werden, schneller und besser mit Hinweisen auf möglicherweise illegale Inhalte umzugehen. Sie müssen Ansprechpartner benennen, transparente und effektive Verfahren zur Bearbeitung von Hinweisen auf rechtswidrige Inhalte bereithalten, illegale Inhalte binnen kurzer Fristen entfernen oder sperren und über ihre Aktivitäten in diesem Bereich umfassend berichten.
Media Smart e. V.: Wie würden Sie dieses Gesetz bewerten?
Drechsler: Da für systematisch fehlerhaftes Agieren enorme Bußgelder verhängt werden können, besteht die Gefahr, dass soziale Netzwerke in schwer zu entscheidenden Fällen Inhalte vorsichtshalber löschen, während unser grundgesetzlicher Wertekanon in Zweifelsfällen eigentlich zu einer Entscheidung zu Gunsten der Meinungsfreiheit führen sollte. Welche Änderungen das Gesetz in der Praxis tatsächlich bringt, ist jetzt noch nicht seriös abzuschätzen.
Media Smart e. V.: Facebook ist Mitglied bei der FSM. Inwieweit arbeiten sie bereits mit Facebook zusammen und wird sich die Kooperation durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ändern?
Drechsler: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bringt zuallererst die oben genannten neuen Pflichten für Anbieter sozialer Netzwerke mit sich. Zusätzlich gibt es die Option, Entscheidungen in Einzelfällen durch eine Selbstkontrollinstanz wie die FSM zu treffen. Dafür müssen sich mehrere Unternehmen zusammenschließen und eine Selbstkontrolle mandatieren. Es ist derzeit noch offen, ob und wann dies der Fall sein wird.
Media Smart e. V.: Wo liegt die Besonderheit bei der Zusammenarbeit mit Facebook?
Drechsler: Wie mit allen unseren Mitgliedern arbeiten wir auch mit Facebook sehr eng zusammen, wenn es um aktuelle Themen und neue Herausforderungen geht. Bei sozialen Netzwerken stellte sich in der jüngeren Vergangenheit öfter die Frage, welche Inhalte noch vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind und welche bestimmte Grenzen überschreiten, indem sie beispielsweise die Menschwürde anderer berühren oder zu Straftaten aufrufen.
Media Smart e. V.: Konkretisieren Sie das doch bitte für uns.
Drechsler: Wir haben anhand unzähliger Einzelfälle, für die es in der deutschen Rechtsprechung bisher keine Präzedenzentscheidungen gibt, gemeinsam geprüft und diskutiert, ob Inhalte gegen straf- oder jugendschutzrechtliche Vorgaben verstoßen und deshalb in Deutschland entfernt werden müssen. Außerdem haben wir in mehreren Durchgängen verdeckt geprüft, wie lange Facebook und andere soziale Netzwerke brauchen, um rechtswidrige Inhalte zu entfernen, und wie zutreffend die Entscheidungen, Inhalte zu löschen oder stehen zu lassen, jeweils waren. Die Ergebnisse haben wir dann mit den Unternehmen ausführlich diskutiert und die Erkenntnisse erörtert.
Media Smart e. V.: Und zum Schluss, Herr Drechsler, was uns natürlich auch interessiert: Gibt es aus Ihrer Sicht besondere Herausforderungen, denen Pädagog*innen und Eltern im Hinblick auf die Vermittlung von Medienkompetenz bei Heranwachsenden gegenüberstehen?
Drechsler: Neben der Minimierung von potentiellen Gefahren durch Maßnahmen des Jugendmedienschutzes ist es vor allem Ziel, Heranwachsende darin zu bestärken, Online-Medien für sich zu entdecken, selbstbestimmt und reflektiert zu nutzen sowie aktiv an ihrer Gestaltung teilzuhaben.
Media Smart e. V.: Und was bedeutet dies im Hinblick auf die Werbekompetenzvermittlung?
Drechsler: Ein stetiger Austausch zwischen Kindern, Jugendlichen und Eltern oder Pädagogen, insbesondere auch über Werbestrategien und -botschaften, die von ihren Medienhelden auf Videoportalen, Websites, innerhalb von Apps und Social Media kommuniziert werden, hilft ihnen dabei, diese zu erkennen und einzuordnen. Erwachsene müssen sich hier auch ihrer Vorbildrolle bewusstwerden und ihr eigenes Nutzungsverhalten reflektieren, hier können Unterstützungsangebote bspw. gezielt Hilfestellung geben.
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