Das Foto zeigt Prof. Dr. Gunnar Mau. Er ist Wirtschaftspsychologe und Mitglied im Expertenbeirat von Media Smart e. V. Media Smart hat mit ihm unter anderem über die Rolle von Kindern beim Einkaufen gesprochen.

Prof. Dr. Gunnar Mau ist Wirtschaftspsychologe und Vizepräsident für Forschung & Lehre an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport. Seine Dissertation schrieb er über die Bedeutung der Emotionen beim Besuch von Online-Shops. Seine Forschungsschwerpunkte sind Käufer- und Konsumentenverhalten, Verletzliche Verbauchergruppen und Entscheidungsprozesse am Point of Sale. Seit 2019 ist er Mitglied im Expertenbeirat von Media Smart.

Media Smart e. V.: Welche Rolle spielen Kinder beim Einkaufen?

Mau: Lange Zeit wurden Kinder kaum als Konsumenten wahrgenommen. Noch bis in das 20. Jahrhundert hinein galten sie in Bezug auf ihre Rolle des Marktteilnehmers oftmals lediglich als verlängerter Arm der Eltern. Dabei haben Kinder tatsächlich eine große Bedeutung für das Einkaufen. Bereits ab dem Alter von etwa einem Jahr wirken Kinder auf die Konsum- und Kaufentscheidungen der Eltern ein. Sie artikulieren Wünsche und beeinflussen so Erwachsene in deren Käufen. Wie stark ihr Einfluss ist, hängt auch vom Produkt ab. Großen Einfluss haben Kinder auf den Kauf von Produkten, die entweder wenig kosten oder die direkt durch die Kinder konsumiert werden. Aber auch beim Kauf teurer Produkte oder Dienstleistungen, z.B. eines Urlaubs oder eines Autos, beeinflussen Kinder die Entscheidung oft. So bestimmen 85 % der 6- bis 13- jährigen Kinder mit, welche Freizeitaktivität die Familie unternimmt (KidsVA 2012). Zwischen dem sechsten und achten Lebensjahr beginnen Kinder in der Regel damit, eigene Kaufentscheidungen aktiv zu treffen. Dabei steht ihnen oftmals ein nicht unbeachtliches Budget zur Verfügung, über das sie selbständig entscheiden können. Die Kids Verbraucheranalyse 2012 beziffert die jährlichen Einnahmen der 6- bis 13-Jährigen durch Taschengeld oder kleine Zuverdienste auf insgesamt 1,85 Milliarden Euro (durchschnittlich etwa 27 € im Monat pro Kind). Zusammen mit Geldgeschenken und Erspartem stehen Kindern in dieser Altersstufe etwa 6 Milliarden Euro zur Verfügung (Spiegel Online 2012). Dieses Budget ermöglicht Kindern die Verwirklichung individueller Wünsche, wird aber auch gezielt für andere Personen ausgegeben. Welche Produkte Kinder bevorzugen, ist von Geschlecht und Alter abhängig.

Media Smart e. V.: Was verstehen Sie unter Kaufkompetenz und welche Aspekte beinhaltet sie?

Mau: Obwohl Kinder vielfältige Konsum- und Kaufentscheidungen mit weitreichenden Folgen treffen, ist die Frage, was Kinderkaufkompetenz eigentlich ist, auch in der Wissenschaft noch ungeklärt. Wir verstehen darunter die kognitiven, motivationalen und sozialen Fertigkeiten, die Kinder in die Lage versetzen, den gesamten Kaufprozess so zu bewältigen, dass die eigenen Ziele und Bedürfnisse erreicht und die Herausforderungen sowie das eigene Handeln verstanden und reflektiert werden können. Es geht also nicht darum, dass Kinder nur noch bestimmte Produkte kaufen, sondern darum, ihre eigenen Ziele und Bedürfnisse auch dann noch durchzusetzen, wenn sie auf Widerstände oder Ablenkungen treffen. Welche Fertigkeiten Kinder dafür brauchen, untersuchen wir derzeit in unserer Forschung. Bisher sprechen die Ergebnisse dafür, dass Kinder für kompetente Kaufentscheidungen sowohl Wissen benötigen als auch Fähigkeiten der Selbstkontrolle. Als relevante Wissensbereiche haben sich bisher mathematische Fähigkeiten, Kenntnisse zu Zeit, Geld und Einkommen, Markt und Tausch, Marktinstitutionen und Auswahl herausgestellt. Bei der Selbstkontrolle sind es vor allem Konzentrationsfähigkeit, Zukunftsorientierung, Selbstwirksamkeit und die positive Einstellung zum Verhaltensziel, die kompetente Kaufentscheidungen begünstigen.

Media Smart e. V.: Wie werden Kinder kompetente Käufer*innen?

Mau: In unseren Studien zeigt sich immer wieder, dass nicht unbedingt die Kinder mit dem größten Wissen oder der besten Schulleistung die kompetentesten Kaufentscheidungen treffen. Wissen ist eine wichtige Voraussetzung, aber es reicht nicht aus, um in der Praxis erfolgreich zu handeln. Gute Kaufentscheidungen sind vielmehr eine Frage der Erfahrung. Wenn Kinder oft mit ihren Eltern einkaufen gehen und diese ihnen Kaufentscheidungen vorleben und das Kaufverhalten erklären, erlernen Kinder die relevanten Fähigkeiten schneller. Kaufkompetenz wird also vor allem auch implizit erworben. Dabei kann die Schule unterstützen, indem sie relevantes Wissen in Bezug auf Kaufentscheidungen vermittelt. So gehen manche Schulklassen in Supermärkte und kaufen gemeinsam für einen Kochkurs ein. Hier werden dann Wissen (wie mathematische Fertigkeiten) und Selbstkontrolle (z.B. durch ein beschränktes Budget) eingeübt. Dort, wo Kinder keine Einsicht zeigen können, weil ihnen die Fähigkeiten dazu fehlen, muss eine Verbraucherpolitik mit Warnungen oder Reglementierungen reagieren. Diese können aber nur dann einen Effekt erzielen, wenn sie von den Kindern verstanden werden und nicht durch den Markt konterkariert werden können.

Media Smart e. V.: Gibt es bezogen auf die Zielgruppe Heranwachsende „aktuelle“ Marketing-Instrumente, also solche, die erst seit einigen Jahren eingesetzt werden?

Mau: Kein neues, aber trotzdem sehr aktuelles Marketing-Instrument sind Communities, also Netzwerke zwischen Kindern und der Marke. Obwohl solche Communities schon lange einen Platz in der Kommunikation mit Kindern haben, sind sie in Zeiten sozialer Netzwerke und mobiler Endgeräte, die praktisch ständiger Begleiter der Kinder sind, noch einmal deutlich präsenter. Hier werden nicht nur Beziehungen zu den Kindern aufgebaut, sondern auch Erlebniswelten vermittelt und Gleichgesinnte zusammengeführt. Diese Communities spielen auch bei der Absicherung der Kaufentscheidung direkt am Point of Sale (dem Ort der Kaufentscheidung) eine nicht zu unterschätzende Rolle, vor allem wenn es um Prestigeprodukte wie Mode oder Handy geht. Die permanente Präsenz von Smartphone, Tablet oder Phablet im Alltag der Kinder hat zudem ein weiteres, länger existierendes Instrument weiterbefördert: Ad-Games und Casual Games. Diese einfachen Spiele mit oft geringer Einstiegshürde richten sich in Form von Spiele-Apps oder Web-Apps nicht selten direkt an Kinder – und erreichen offensichtlich teilweise eine enorme Anzahl von ihnen. Auf diese Weise sind sie nicht nur in der Nähe des POS präsent, sondern bieten zum Teil auch gleich einen Ort der Kaufentscheidung. Durch die spielerische „Vereinnahmung“ der Kinder in der Nutzungssituation leidet die Kompetenz der Kinder bei der Kaufentscheidung. Und auch das dritte Instrument hängt mit dem Internet zusammen: Videoblogs auf YouTube. Offensichtlich haben die Protagonisten dieser Blogs teilweise einen großen Einfluss auf die Wünsche der Kinder. Produkte, die mit Symbolen der Blogs oder mit Fotos ihrer Protagonisten gestaltet sind, genießen bei einigen Kindern großes Vertrauen und wecken Kaufwünsche – bei jungen Kindern zum Teil auch sehr unreflektiert.

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